11.01.2016
Politisch, kulturell und wirtschaftlich sind Estland, Lettland und Litauen fest im Westen verankert. Nun wollen sich die drei Ex-Sowjetrepubliken auch im Energiebereich vollständig von Russland lösen. Welche Pläne sie genau verfolgen und wie sie sie erreichen wollen – PREISVERGLEICH.de gibt Aufschluss.
Vilnius - Für Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite ist es eine „strategische und historische Errungenschaft“ für die Region und von „strategischer Bedeutung“ für die gesamte EU. Auch die Regierungschefs von Estland und Lettland wählten Mitte Dezember in der litauischen Hauptstadt Vilnius ähnliche Worte bei der symbolischen Inbetriebnahme zweier Starkstromleitungen.
Mit der 500 Megawatt starken Leitung „Litpol Link“ zwischen Litauen und Polen werden die drei Baltenstaaten mit zusammen knapp sieben Millionen Einwohnern nun an das westeuropäische Stromnetz angeschlossen. Das 700 Megawatt-Unterseekabel „Nordbalt“ zwischen Schweden und Litauen soll den Zugang zum nordischen Strommarkt verbessern. Damit ende die „Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten“, betont Grybauskaite.
Die beiden startbereiten Trassen sind die jüngsten Projekte, mit denen sich die drei heutigen EU- und Nato-Mitglieder aus der Umklammerung Russlands lösen wollen. Gut ein Vierteljahrhundert nach der Loslösung von der Sowjetunion erhoffen sie sich Unabhängigkeit vom mächtigen Nachbarn im Osten, der seine wirtschaftliche Macht im Energiebereich wiederholt als politisches Druckmittel eingesetzt hat.
Bislang sind die drei Ex-Sowjetrepubliken Teil eines gemeinsamen, synchron geschalteten Stromnetzes mit Russland und Weißrussland. Mit der Stilllegung des Atomkraftwerks Ignalina versiegte 2009 zudem die wichtigste eigene Stromquelle. Die Abschaltung der Anlage vom Bautyp des Unglücksreaktors in Tschernobyl war eine der Auflagen für den EU-Beitritt Litauens.
Auch beim Gas hingen die drei Staaten stark von Russland ab. Der russische Staatskonzern Gazprom dominierte den Markt. Das Kräfteverhältnis begann sich erst Anfang 2015 zu verschieben, als ein Flüssiggas-Terminal im litauischen Ostsee-Hafen Klaipeda in Betrieb ging. Theoretisch kann die schwimmende Anlage den Gasbedarf Litauens vollständig decken und die baltischen Nachbarn mitversorgen.
„Es bedeutet nicht nur Energieunabhängigkeit, sondern auch politische Freiheit“, betont Grybauskaite. Mit dem im Oktober vereinbarten Bau einer neuen Pipeline nach Polen soll die Unabhängigkeit weiter wachsen. Die Verbindung soll bis 2019 das baltische Gasnetz an das westeuropäische Pipeline-System anschließen und das Dasein der Baltenstaaten als Energieinseln in der EU endgültig beenden. Auch zwischen Estland und Finnland soll eine neue Leitung entstehen.
Doch die höhere Energiesicherheit hat ihren Preis. Die Kosten für die überwiegend von der EU getragene Infrastruktur-Offensive bewegen sich im Milliardenbereich. Auch für die später geplante Synchronisation der Stromnetze der baltischen Staaten mit dem Rest der EU muss Medienberichten zufolge tief in die Tasche gegriffen werden. Russland droht überdies mit Entschädigungsforderungen.
Energie-Experten sind zudem skeptisch, ob das Flüssiggas vom Weltmarkt für Litauen wesentlich billiger sein wird als das russische Gas. Hinzu kommen unter anderem die Kosten für den Ausbau der Verbindungsleitungen zwischen den Baltenstaaten.
Text: dpa/pvg
Bild: dpa